
Innovation—Die Lücke zwischen Vorstellung und Realität
Innovation als Kommunikationsproblem
Die Arbeit in einem Innovationsteam findet in vielerlei Hinsicht in den Lücken zwischen Vorstellung und Realität statt. Damit ist nicht nur der Weg von einer Idee bis zu einem ersten Prototypen oder fertigen Produkt gemeint. Viel wichtiger ist die Lücke zwischen unserer Vorstellung davon, wie Innovation auszusehen hat, und dem, wie sie sich in der Realität tatsächlich verhält.
Innovation im Journalismus bedeutete in den letzten zehn Jahren fast ausschließlich das Erschließen neuer Distributionskanäle. Man denke nur an Voice, VR, AR, 5G, Chatbots, Podcasts, Newsletter oder die berüchtigten iPads. Gleichzeitig wird Innovation mit bestimmten Ästhetiken, wie beispielsweise Apples minimalistischem Design, einem Jargon („Killerapps“, „disruptiv“, usw.), sowie bestimmten Ritualen und Methodiken (bspw. Design Thinking) in Verbindung gebracht. In den Köpfen von Manager:innen und Mitarbeiter:innen existiert eine fixe Idee, wie Innovation auszusehen und sich zu verhalten hat.
Schuld daran ist mitunter die Management-Literatur der letzten zehn Jahre, die versucht die Sprache, Ästhetiken und Methoden von Silicon Valley Startups in möglichst nachahmbare Pakete zu verpacken. Ganz im Sinne von: “mit diesen 10 Schritten wird auch ihr Unternehmen innovativ!” Ideen, die Andrew L. Russell und Lee Vinsel aufgrund ihrer Oberflächlichkeit auch als „Innovation Speak“ bezeichnen.
We start with a crucial distinction: the difference between innovation and the way people talk about it. On the one hand, there are the various acts that we can refer to as innovation. On the other hand, there is all the talk about innovation, a public discourse that we refer to as “innovation-speak.”
Wer das Neue nur imitiert, kann es sich in der Oberflächlichkeit bequem machen
Häufig geht es in Innovationsprozessen gar nicht so sehr darum, ob ein Produkt oder eine Technologie tatsächlich innovativ ist, sondern ob es unsere Erwartungen daran erfüllt, wie Innovation auszusehen hat. Zu oft bedeutet Innovation, Tech-Startups undurchdacht nachzuahmen, Trenddecks als Roadmaps zu verwenden und Ideen zu jagen, die in der eigenen Organisation schlicht nicht umsetzbar sind.
Warum das gefährlich ist? Zunächst einmal beschränkt diese Idee von Innovation den Raum des Möglichen. Wer Innovation nur mit Technologie gleichsetzt, schließt von vornherein die vielen anderen Bereiche in denen die Arbeit an Neuem geschehen kann aus, wie David Sax in der New York Times anmerkte:
True innovation isn‘t just some magic carnival of invention, like a Steve Jobs keynote with a pretty toy at the end. It is a continuing process of gradual improvement and assessment that every institution and business experiences in some way. Often that actually means adopting ideas and tools that already exist but make sense in a new context, or even returning to methods that worked in the past. Adapted to the challenges of today, these rearview innovations have proved to be as transformative as novel technologies.
Keine Technologie, keine App, keine Investition wird alleine eine lohnenswerte Zukunft für den Journalismus bauen.
Gleichzeitig ist diese Form des Innovationstheaters eine Strategie für alle, die nur so tun wollen, als ob sie etwas verändern möchten. Wer seine Mitarbeiter nur über VR-Brillen und Roboterjournalisten sinnieren lässt, hält sie weit weg vom operativen Tagesgeschäft und verhindert so echte Veränderung am Geschäftsmodell, der Organisationsstruktur oder Unternehmenskultur. Gerade konservative Kräfte in Redaktionen greifen häufig auf diese oberflächliche Idee von Innovation zurück, um den Ist-Zustand und ihren eigenen Einfluss nicht zu gefährden und kombinieren sie mit etablierten Bildern, wie Journalismus auszusehen hat und konsumiert werden soll.
Die Folge ist, dass es oft leichter ist, alten Wein in neue Schläuche zu gießen und dies als Innovation zu verkaufen, als grundlegend den Journalismus zu verändern. Seit Jahrzehnten fehlt es in Redaktionen an alternativen Ideen und Geschichten, die glaubhaft genug eine Alternative zum Status Quo erzählen. Und ich meine tatsächlich Jahrzehnte, denn die Tendenz, die Zukunft des Journalismus rein an seinem Medium festzumachen, zieht sich durch das gesamte letzte Jahrhundert.

Und als Konsequenz haben wir eine Flut an Alexa-Skills, VR-Apps und Daily Podcasts, die aber kaum eine ernsthafte Veränderung in den Medienhäusern nach sich ziehen.
Innovation braucht glaubhafte Erzählungen
Wenn Innovation erfolgreich sein will, muss sie sich mit den dominanten Vorstellungen von Innovation und Journalismus auseinandersetzen, anstatt sie nur blind zu erfüllen. Innovationsteams und R&D-Labs müssen ihr Budget und ihre Energie nicht nur in neue Technologien, Entwickler:innen oder hübsche Prototypen stecken, sondern auch in die strategische Kommunikation nach innen und nach außen. Sie müssen nicht nur glaubhaft eine Geschichte über die eigene Arbeit erzählen können, sondern auch die Mythen unter der Oberfläche von Unternehmen hinterfragen und neu prägen1.
Dieser Herangehensweise folgend, sind zukunftsfähige Innovationsteams nicht (ausschließlich) Tech-Labore, sondern vielmehr strategische Begleiter:innen. Für einen solchen Positionswechsel muss auch akzeptiert werden, dass Innovation ein Kommunikationsproblem hat. Eine mögliche Herangehensweise ist das, was der Indie-Consultant Tom Critchlow als „Narrative Strategy“ und der Autor Patrick Tanguay als „Thought Partnerships“ bezeichnet:
What I realized is that playing an editorial role for a company and influencing multiple projects and discussions are not two separate things. It‘s not “writing things” and “giving opinions because you know about stuff.” A Thought Partner is someone who, through a practice of researching, reading, learning, asking questions, and writing, helps partners in developing their ideas, knowledge, and thinking.
Es geht dabei darum die Kommunikationslandschaft in Organisationen zu nutzen, um deren Sprache und Vorstellungen zu prägen. Oder wie es Michael Geoghegan so eloquent zusammenfasst:
Managers understand the organization‘s past behavior.
But this knowledge, and the language that accompanies it, limit their vision of the organization‘s potential future state.
Using the language of the past, managers may try to provide vision for the future. But it is an old future—a memory of what the future could be.
Managers may strive for fundamental change, but their language prevents them from achieving it.
Um dies zu erreichen schlägt Critchlow bereits bekannte Werkzeuge vor, die Teams helfen können die Deutungshoheit über die eigene Arbeit zu behalten. Blogs, Weeknotes, Memos, Trendreports, Pressemitteilungen, Podcasts, Vorträge oder “Artefacts of Work” sollten genauso Teil des Arsenals und der Strategie sein, wie der unvermeidliche Koffer voller Post-its.
Innovation beginnt mit ihrer eigenen Definition. Wenn Innovation im Journalismus wirklich erfolgreich sein will, muss sie es schaffen, diese Lücke zwischen Vorstellung und Realität zu schließen. Ansonsten wird sie sich damit begnügen müssen, wieder und wieder dem nächsten Hype hinterherzulaufen.
Mit großer Dankbarkeit an Meike Winkler, Martin Wiens und Benjamin Heinz für die Korrekturen und Feedback.
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Hilfreich sind an dieser Stelle die Begriffe „Imaginary“ und „Futures“ oder „Zukünfte“ aus der kritischen Zukunftsforschung. Siehe auch Sohail Inayatullah (2007): Six pillars: futures thinking for transforming. ↩