
Experimente mit Mikro-Publishing
Work in Progress
Mitte Januar veröffentlichte ich parallel zu meinem Newsletter ein Zine als Zusammenfassung meiner Erfahrungen im Innovationsteam der Süddeutschen Zeitung, das innerhalb von vier Stunden ausverkauft war.
Über ein mehr als gelungenes Experiment.
Ich bin ein großer Fan von Print. Ich besitze eine ständig wachsende Sammlung an Indie-Magazinen und Zines, zu viele Monocle Ausgaben und inzwischen auch zunehmend Papier- und Druckproben. Und ja, ich arbeite auch bei einer Zeitung.
Ich hatte im Kontext meiner Arbeit die Möglichkeit, mehrmals Rechercheergebnisse drucken zu lassen. Sei dies als Riso-Zine, als mehrteilige Reports oder kleinere Artefakte. Print ist ein unheimlich effektives Werkzeug in der Kommunikation von Arbeit — und das im doppelten Sinne. Nicht nur transportiert es natürlich Inhalt, sondern ist als Objekt auch der Beweis, dass Arbeit getan wurde. Print ist nicht so vergänglich wie eine Präsentation, eine PDF oder eine E-Mail. Gut gemacht und gut positioniert kann Print eine vollkommen eigene Wirkung entfalten.
zine \ˈzēn\ noun — 1. magazine 2. especially : a noncommercial often homemade or online publication usually devoted to specialized and often unconventional subject matter.
Und das war letztendlich auch der Grund, weshalb ich nach drei Jahren Arbeit im Innovationsteam der Süddeutschen Zeitung diese Form der doppelten Kommunikation für mich nutzen wollte. Das Ergebnis, „Work in Progress“, ist letztendlich eine Mischung aus meinen Erfahrungen, Verbesserungsideen und der Beweis für mich, dass ich in dieser Zeit dazugelernt habe.
Bücher über Innovation haben Lücken
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis aus diesen drei Jahren ist die Tatsache, wie wenig „klassische“ Innovationsliteratur meine Arbeit unterstützte. Nicht nur, weil sie fast ausschließlich von und für Manager:innen geschrieben ist, sondern auch weil sie sich zu sehr auf Start-Ups fokussiert. Nur bin ich weder ein Manager, noch arbeite ich in einem Startup. Ganz im Gegenteil arbeitet unser Team in einer komplexen Organisation mit einer langen Geschichte, sehr gegensätzlichen Interessen und oft vollkommen anderen Prioritäten als den unseren. Ein direktes Ergebnis dieser Überlegungen war auch mein etwas angriffslustiger Text „Innovation—Die Lücke zwischen Vorstellung und Realität“.
Ich wollte auf diesen Text eigentlich eine Serie folgen lassen, merkte aber, dass meine Entwürfe schnell eher ziellos und ausufernd wurden. Dabei wollte ich auf den Punkt schreiben und möglichst hilfreich sein.
Und das ist letztendlich der große Vorteil von Print. Es ist ein abgeschlossenes Medium. Oder wie Craig Mod so schön schreibt:
We buy a book, we know what we‘re getting. There is no other “business model” at play. No other information being (necessarily, relatively) sold. This clarity of contract is especially lucid in physical form. The book has edges. The transaction has edges. The transaction completes. Given time, we complete the book. It has an ending. Contracts are clear.
Das Format zwang mich auf den Punkt zu kommen, knapp zu formulieren und genau darüber nachzudenken, welche Gedanken ich wie vermitteln wollte. Ich habe ehrlicherweise noch nie einen besseren Brecher für eine Schreibblokade gehabt.
Print: seine Tücken und Fehlkalkulationen
Nachdem klar war, dass das Ergebnis in Print erscheinen sollte, folgten einige Monate mit verschiedenen Iterationen, Layout-Tests, Korrekturen durch meinen Kollegen Dirk von Gehlen und vor allem meiner unermüdlichen und peniblen Freundin.
Print bringt aber ein paar Herausforderungen mit sich. Drucken ist auch in kleinen Auflagen natürlich nicht kostenlos. Die große Frage war letztendlich, wie viele Exemplare ich bestellen wollte bei gleichzeitig minimalem finanziellen Risiko. Ich legte mir ein Google Spreadsheet an, um einige mögliche Szenarien durchspielen zu können. Letztendlich entschied ich mich für eine Variante, die möglichst viel finanzielles Risiko vermied, mir gleichzeitig aber genügend Spielraum ermöglichte.
Letztendlich lies ich eine kleine Auflage von 100 Exemplaren drucken, die ich für 6,50€ verkaufen wollte. Ich nahm an, ich würde sie vielleicht über ein oder zwei Monate verkaufen, indem ich hin und wieder Werbung auf Twitter, LinkedIn und im Newsletter machte.
Tja…
Der 4-Stunden Launch
Der Launch selber war absolut verrückt. Nicht nur erreichte ich meinen angezielten Break-Even bereits 90 Minuten nachdem ich einen Newsletter mit dem Link zum Zine verschickt hatte, ich hatte zudem alle Ausgaben bereits 4 Stunden nach dem Launch verkauft. Ich kam noch nicht einmal dazu, die Zines auf einem anderen Kanal zu bewerben.
Und an dieser Stelle ein gigantisches „DANKE!“ an jede:n, der/die eines oder sogar mehrere Exemplare von „Work in Progress“ bestellt hat. Gott sei Dank reagierte der Mann am Postschalter recht entspannt, als ich mit 95 Umschlägen in die Filiale spazierte.

Es gibt wirklich kein besseres Gefühl, als sich nach ungefähr vier Monaten Arbeit und Revisionen nicht auf die eigentliche Arbeit konzentrieren zu können, weil das Smartphone im Minutentakt mit Verkaufsbenachrichtigungen vibriert.
Wie geht es weiter?
Um gleich die größte Frage zu beantworten: Ich werde keine zweite Auflage drucken lassen. Es wird aber weiterhin möglich sein, das Zine als PDF zu erwerben. Vielleicht, wenn es Sinn macht, werde ich in der Zukunft eine aktualisierte Version veröffentlichen. Aber das ist eine Diskussion für ein anderes Mal. Inzwischen bin ich begeistert von den ehrlichen Kritiken und dem positiven Feedback, die mich bisher erreicht haben.
Ich habe noch nicht alle E-Mails beantworten können, aber ich bin dran! Versprochen!
Alles in allem fühle ich mich gerade wie ein kleines Kind am Fuß einer Rutsche: „Nochmal!“ Ich würde gerne ein zweites, ähnliches Projekt starten und vielleicht, wenn ich die Zeit und Energie finde, einen jährlichen oder sogar halbjährlichen Rhythmus für Mikro-Publikationen finden. Vielleicht auch in Kooperation mit anderen.
Gleichzeitig haben mich der wirklich verrückte Launch und die bisherigen Rückmeldungen darin bestätigt, dass mein Gefühl stimmt. Nicht nur existiert tatsächlich eine Lücke in der Innovations-Literatur, vielleicht wird es sogar Zeit, den gesamten Diskurs rund um Innovation in den Medien noch einmal neu aufzurollen.
Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde mir die Zeit geben, vielleicht einen Ansatz zu finden.
Die digitale Version des Zines ist weiterhin hier erhältlich.